Das Lautinventar entwickeln (1)

Ein Volk, das von den Leser*innen als „schön“, „rein“ oder ganz allgemein „gut“ angesehen werden soll, braucht eine Sprache, die das auch reflektiert. Es ist natürlich immer eine rein subjektive Wahrnehmung, was als „schön“ angesehen wird und was nicht, auch bei Lauten. Aber es gibt Tendenzen, eine Reihe von Lauten, die man immer wieder in „schön klingenden“ Kunstsprachen antreffen kann, bzw. es gibt Laute, die fast nie vorkommen.

Wer also eine für unsere Ohren wohlklingende Sprache erfinden möchte, sollte zunächst einmal unbedingt „harte“ Laute wie /p, t, k/ und „kehlige“ Laute wie /x, χ, ʁ/ usw. vermeiden und sein Lautinventar mit „weichen“ (i.d.R., aber nicht ausschließlich, stimmhaften) Lauten füllen.

Beginnen wir zunächst mit den Konsonanten:

1. Der Lateral /l/ und die Nasale /m, n, ŋ/: 

Ganz oben auf der Wohlklangsskala befinden sich diese vier Laute. Sie gehören zu der Gruppe der sog. Sonoranten, spontan stimmhaften Lauten, die ohne Druck im Vokaltrakt gebildet werden, der durch einen Verschluss oder Reibung gelöst werden muss. Jede mir bekannte Conlang, die wir als schön empfinden sollen, weisen diese vier Laute auf. Umgekehrt kenne ich keine „hässliche“ Conlang, die den Lateral /l/ in ihrem Lautinventar hat.

  • Beispiele: /l/ wie in „Liebe“, /m/ wie in „Mama“, /n/ wie in „nie“, /ŋ/ wie in „Ring„.


2. Der Vibrant /r/ und die Gleitlaute /j, w/: 

An nächster Stelle der Beliebtheitsskala für Laute, die in „schönen“ Sprachen vorkommen, stehen diese drei. Der Vibrant /r/ wird weiter vorne im Mundraum gebildet als im Deutschen, wer Spanisch oder Italienisch in der Schule hatte, hat ein gutes Gefühl für diesen Laut. Die Gleitlaute /j, w/ werden manchmal auch als „Halbvokale“ bezeichnet aufgrund ihrer fast vokalähnlichen Bildung, oder Approximanten (= Näherungslaute), weil sie nur durch Annäherung der Zunge an den Gaumen, bzw. der Lippen aneinander gebildet werden.

  • Beispiele: /r/ wie in den meisten romanischen Sprachen (außer Französisch), z.B. Spanisch „rollo“, /j/ wie in „ja“, /w/ wie in Englisch „with“.

3. Die Frikative /v, z, θ, ð, ʃ, ʒ, h/:

Frikative (Reibelaute) werden dadurch gebildet, dass die Luft durch eine Engung irgendwo im Mundraum gedrückt wird, also Druck entsteht. Damit sind Frikative keine Sonoranten, sondern Obstruenten, nicht-kontinuierliche Laute, die spontan stimmlos gebildet werden. Die stimmhaften Frikative hingegen (und auch einige stimmlose) klingen für unsere Ohren sehr angenehm, weshalb man sie auch gehäuft bei Tolkiens Elbisch antreffen kann.

  • Beispiele: /v/ wie in „Vase“, /z/ wie in „Saum“, /θ/ wie in engl. „thorn“, /ð/ wie in engl. „this“, /ʃ/ wie in „Schuh“ und /ʒ/ wie in franz. „Jérôme“.

Eine Gemeinsamkeit all dieser bisher genannten Konsonanten ist (wenn sie jetzt auch nicht alle stimmhaft sind), dass man sie unendlich lang halten kann – bis man Luft holen muss natürlich. Vielleicht ist das auch mit einer der Gründe, weshalb sie für uns so angenehm klingen und bevorzugt in Conlangs verwendet werden, die wohlklingend sein sollen?

Kommen wir zu den Vokalen:

1. Die vorderen Vokale /a, e, i/:

Diese Vokale sind die für uns angenehmsten. Ihr werdet merken, dass /o/ und /u/ nicht aufgelistet ist, weil sie hinten im Mund gebildet werden und etwas „dunkler“ und damit weniger „rein“ klingen als die drei vorderen Vokale. Wörter mit /o/ oder /u/ werden meist als weniger schön empfunden als Wörter mit vielen /a/’s, /e/’s und /i/’s und Conlangs, die wir als schön empfinden sollen, gehen i.d.R. sparsam mit diesen Lauten um.

2. Diphthonge /ai/ und /ei/:

Diphthonge sind sogenannte „Doppelvokale“, bei denen ein Vokal in den nächsten übergeht. Es gibt eine Reihe an Diphthongen, aber der wohlklingenste ist vermutlich /ai/, wie in „leicht“, „ein“ oder „heiß“. /ei/ ist ebenfalls noch ein Diphthong, den man immer wieder in Kunstsprachen antrifft, die „schön“ klingen sollen, z.B. in Na’vi „Eywa“.

Es darf jetzt aber nicht angenommen werden, dass ausschließlich die hier explizit erwähnten Laute eine „schöne“ und wohlklingende Sprache ausmachen und dass man unter keinen Umständen andere Laute verwenden darf. Wie gesagt, es handelt sich um eine Tendenz, um die Gemeinsamkeiten, die „schöne“ Kunstsprachen aufweisen, und jeder hat eigene Vorlieben und Wahrnehmungen. Wer also sein Lautinventar mit anderen, hier nicht gelisteten Lauten aufpeppen will, sollte das ruhig auch tun!

„Schöne“ Wörter bilden

Wenn das Lautinventar erstmal steht, ist die meiste Arbeit getan. Beim Zusammensetzen sollte man nur grundsätzlich dann drauf achten, nicht zu viele Konsonanten nebeneinander stehen zu haben, um nicht den ganzen „schönen“ Klang wieder zunichte zu machen. Das schönste Lautinventar nützt einem wenig, wenn man es zu Wörtern wie „schrailwarm“ zusammensetzt.

Stattdessen sollte man versuchen, eine Balance aus Vokalen und Konsonanten zu finden und sie möglichst gleichmäßig zu verteilen. Die meisten wohlklingenden (Kunst-)Sprachen weisen sog. offene Silben auf, also Silben des Schemas Konsonant-Vokal, Konsonant-Diphthong, Konsonant-Konsonant-Vokal, usw., bei denen kein Konsonant nach dem Vokal oder Diphthong mehr steht.

  • Beispiele: Konsonant-Vokal „ra“, Konsonant-Diphthong „rai“, Konsonant-Konsonant-Vokal „tra“, Konsonant-Konsonant-Konsonant-Vokal „stra“

Allerdings geht auch hier die Tendenz dazu, möglichst wenige Konsonanten am Anfang stehen zu haben. Bevorzugt werden einfache Silben des Schemas Konsonant-Vokal oder Konsonant-Diphthong, also „ra“, „mai“, „schi“, „thei“, usw. – und tatsächlich klingen solche Silben für unsere Ohren einfach schöner.

Dann entsteht aus dem o.g. Beispiel „scharailawarim“, das zwar viel länger ist – aber irgendwie besser von der Zunge geht und sich auch netter anhört als das andere.


Wer mehr und tiefergehend darüber lesen will, was für Wörter, Laute und Lautkombinationen eigentlich schön klingen und warum (mit Fokus auf der englischen Sprache), sollte sich mit der Arbeit des Linguisten David Crystal zur sog. „Phonästhetik“ auseinandersetzen.